Wer dicke Muskeln aufbauen will, muss schwer trainieren, so das gängige Mantra. Doch stimmt das wirklich? Was ist schwer? Zwei Wiederholungen? Fünf? Zehn? Was sagt die Forschung?
Im Wandel der Zeit und Trainingsphilosophien hat sich eine kontroverse Diskussion entfacht, die die traditionellen Ansätze des Krafttrainings, insbesondere das Paradigma des schweren Trainings für den Muskelaufbau, hinterfragt. Ein tief verwurzelter Glaube in der Welt des Bodybuildings und der Kraftsportarten ist die Überzeugung, dass zum Aufbau substantieller Muskelmasse das Heben maximaler Gewichte unabdingbar sei. Diese Auffassung wird jedoch zunehmend durch fortschrittliche wissenschaftliche Erkenntnisse infrage gestellt, die darauf hindeuten, dass es vielfältigere Wege gibt, um den gewünschten muskulösen Körper zu erzielen.
Sonderfall Bodybuilding
Bodybuilding, eine Sportart, die sich einzig und allein dem Ziel des Muskelwachstums widmet, unterscheidet sich grundlegend von anderen Sportarten, in denen Muskelmasse oft nur ein Mittel zum Zweck ist, um die Leistung zu verbessern. Diese Einzigartigkeit des Bodybuildings bringt die Frage auf, ob schwere Lasten wirklich der einzige Weg zum Ziel sind. In der Trainingslehre wird Kraft als eine konditionelle Fähigkeit beschrieben, die notwendig ist, um Leistungen zu erbringen, die mindestens 30% der maximal überwindbaren Kraft entsprechen (Martin D et al., 2016). Kraft tritt dabei in unterschiedlichen Formen auf, darunter Maximalkraft, Schnellkraft, Relativkraft und Kraftausdauer. Jede dieser Formen spielt eine eigene Rolle im Training und weist darauf hin, dass der Aufbau von Muskelmasse nicht auf ein einziges Trainingsschema reduziert werden kann.
Hypertrophie auf der Spur
Die Theorie der Hypertrophie, oder des Muskelwachstums, bleibt trotz intensiver Forschung ein komplexes Feld. Populäre Theorien wie die Reiz-Spannungs-Theorie, die auf der Annahme der Mikrotraumatisierung beruht, suggerieren, dass eine höhere mechanische Belastung der Muskulatur einen höheren Trainingseffekt erzielen sollte. Wäre dies der alleinige Mechanismus, würde dies bedeuten, dass Training mit maximal schweren Belastungen, insbesondere exzentrisches Training, optimal für den Muskelaufbau wäre. Allerdings zeigt die Praxis, und hier insbesondere die Arbeit von Schoenfeld et al. (2017), dass die Realität komplexer ist. Es hat sich herausgestellt, dass Muskelwachstum über ein breites Spektrum an Belastungen erreicht werden kann, solange bis zur muskulären Erschöpfung trainiert wird.
Interessanterweise hat die Forschung von Schoenfeld und Kollegen auch ergeben, dass ein höheres Trainingsvolumen, nicht unbedingt das Heben maximaler Gewichte, zu verstärktem Muskelwachstum führen kann (Schoenfeld B J et al., 2019). Diese Ergebnisse stellen die traditionelle Betonung auf schweres Training in Frage und legen nahe, dass ein vielseitigerer Ansatz, der verschiedene Trainingsintensitäten und -volumen umfasst, nicht nur ebenso effektiv sein kann, sondern auch das Verletzungsrisiko minimieren könnte.
Viele Wege führen nach Rom
Die Debatten rund um die Effektivität von schwerem Training im Vergleich zu anderen Trainingsformen zeigen, dass die Antwort auf die Frage nach dem optimalen Weg zum Muskelaufbau nicht eindeutig ist. Die Studienlage, obwohl umfangreich, bietet keine absolute Klarheit, sondern unterstreicht vielmehr die Komplexität des Themas und die Notwendigkeit eines individuell angepassten Trainingsansatzes. Es wird deutlich, dass eine Balance zwischen verschiedenen Trainingsformen und -intensitäten gefunden werden muss, um sowohl die Muskelmasse als auch die Kraft effektiv zu steigern.
Letztlich spielt auch der persönliche Spaß und die Vorliebe für bestimmte Trainingsformen eine wesentliche Rolle im Trainingsprozess. Die Motivation, die ein Athlet in sein Training einbringt, ist oft genauso wichtig wie das Training selbst. Ob man sich nun für schweres Training oder für ein vielseitigeres, volumenorientiertes Training entscheidet, beides kann zu beachtlichen Ergebnissen führen, solange das Training konsequent und mit Bedacht durchgeführt wird.
Die Erkenntnisse von Forschern wie Schoenfeld und Kollegen weisen den Weg zu einem nuancierteren Verständnis des Krafttrainings, das über die simplistische Gleichung „schweres Heben gleich Muskelwachstum“ hinausgeht. Die Wissenschaft des Muskelaufbaus ist dynamisch und erfordert eine fortlaufende Anpassung und Überprüfung der Trainingsmethoden, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass der Weg zum Muskelwachstum vielfältig ist und dass die Trainingswissenschaft weiterhin spannende Einsichten für Athleten aller Leistungsniveaus bereithalten wird.